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Über Privilegien und Diskriminierungen – ein persönlicher Erfahrungsbericht

Über Privilegien und Diskriminierungen – ein persönlicher Erfahrungsbericht published on 2 Kommentare zu Über Privilegien und Diskriminierungen – ein persönlicher Erfahrungsbericht

pinkblume Dieser Text ist ein Gastbeitrag von @Mandelbroetchen.

Mir geht es gut

Ich bin 35 Jahre jung, gesund, intelligent, Single und habe eine gute Ausbildung als Diplom-Mathematiker. Ich arbeite in einem Finanzinstitut und verdiene gut. Ich habe keine finanziellen Verpflichtungen, keine Familienmitglieder, um die ich mich kümmern müsste. Kurz: ich bin relativ jung, gebildet und unabhängig.

Mir geht es nicht gut

Ich bin agender und asexuell. Das bedeutet, dass ich mich keinem Geschlecht zugeordnet fühle und kein Verlangen nach sexueller Interaktion habe. Generell besitze ich eine große innere Distanz zu vielen Lebensbereichen, die anderen Menschen wichtig und alltäglich sind. Es ist für mich spannender, ein Muster in den Deckenplatten zu analysieren, als mit meinen Kolleg*innen über das Wetter zu reden. Freundschaften bedeuten mir nicht viel; ich arbeite mich lieber in ein kompliziertes Sachthema ein. Das gibt mir Energie und Lebensfreude. All diese Dinge habe ich mir nicht ausgesucht. Sie sind einfach so – so wie einige Menschen sich zu gleichgeschlechtlichen Partner*innen hingezogen fühlen.

Das sind aber nicht die Gründe, weshalb es mir nicht gut geht, denn meine Identität ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Mir geht es nicht gut, weil ich in einer Gesellschaft leben muss, in der viele Menschen sehr anders funktionieren als ich und die gesellschaftlichen Prozesse und Rituale nicht auf Menschen wie mich ausgelegt sind.

Mir ging es schon wesentlich schlechter

Ich stamme aus bescheidenen Verhältnissen. Als Sohn eines Schlossers und einer Putzfrau wuchs ich zwar nicht in einer ärmlichen Umgebung auf, doch Bildung und Kultur waren bei uns kein Thema. Abitur war in meiner Familie kaum vorstellbar, geschweige denn ein Studium oder gar eine Promotion.

Als Kind und Jugendlicher hatte ich große Probleme mit dem Rollenkonstrukt der Männlichkeit, das meine Familie und die Gesellschaft mir aufdrücken wollten. Ein junger Mann, der partout nicht handwerklich tätig sein und bei der Hausrenovierung helfen wollte? Nein, das war in Arbeiterkreisen unvorstellbar. Schon so kleine Dinge wie die Weigerung, Auto zu fahren, führten zu großen Familienkrisen. Ich flüchtete mich in mein Studium und zog 700km von Zuhause weg.

Mein Studium war für mich organisatorisch sehr anstrengend. Ich musste mich mit BAföG, Halbwaisenrente und Nebenjobs über Wasser halten. Ich hatte mit Mitstudierenden zu tun, die aus wohlhabenden und gebildeten Familien stammten und völlig anders lebten als ich.

Es gab Zeiten in meinem Leben, da hatte ich keine Kraft den Telefonhörer abzunehmen oder die Wohnungstür zu öffnen. Ich wusste, dass da draußen nur Menschen waren, die von mir verlangten, mich gemäß einer gesellschaftlichen Norm zu verhalten, die nicht zu mir passte. Ich ging nur noch kurz vor Ladenschluss einkaufen und lebte nachts. Vorlesungen besuchte ich so gut wie nie – ich brauchte sie nicht. Soziale Medien im Internet gab es noch nicht.

Ich hatte Angst auf Partys zu gehen und mich mit Unbekannten über Belanglosigkeiten unterhalten zu müssen. Ich habe noch heute mit körperlichen Panikattacken zu kämpfen, wenn ich in unbekannte, überwiegend männlich dominierte Gruppenstrukturen komme. Schweißausbrüche, zittrige Hände. Ich kann es überspielen, denn geistig habe ich die Probleme schon hinter mir gelassen. Aber die Vergangenheit meldet sich noch heute.

Der Abschluss meines Studiums und meine ersten Berufsjahre halfen mir sehr. Zum einen war es für mich eine Bestätigung, dass ich die Anforderungen der Gesellschaft erfüllen konnte. Zum anderen erfuhr ich Bestätigung durch andere, da mein Mathematikabschluss von ihnen ernstgenommen wurde – was wiederum meinem Selbstwertgefühl half.

Ich habe gelernt zu schweigen, damit es mir besser geht

Ich habe ein großes Privileg: meine Abweichungen von der Norm sind alle unsichtbar. Wenn ich einen Raum betrete, so sehen die Menschen zunächst einen jungen, weißen Mann, der Anzug trägt und sich höflich und freundlich verhält. Wenn ich in Gesprächen über eine (frühere) Partnerin rede, so gelte ich sofort als heterosexuell und damit normkonform.

Ich habe gelernt, damit zu arbeiten. Ich habe mir ein konservatives Auftreten zugelegt. Ich habe gelernt, mich zu verkaufen und auch mal harte Positionen zu vertreten. Kurz: ich habe mich äußerlich angepasst, ohne mein Wesen zu ändern.

Diese Anpassung hat mir viele Türen geöffnet. Ich vermittle Menschen bewusst ein unbewusstes Bild, das in ihre Weltansicht passt und dort nicht sanktioniert wird. Ich profitiere davon und habe kein schlechtes Gewissen dabei. Es ist für mich ein Mittel zum Zweck, weil ich es nicht einsehe, grundlos wegen meines Wesens bestraft zu werden.

Anderen Menschen geht es nicht so gut wie mir

Ich befinde mich im Vergleich zu vielen anderen Menschen in einer privilegierten Stellung. Einerseits bin ich nicht Teil des cis-männlichen, heterosexuellen Systems, andererseits kann ich meine Abweichungen aber äußerlich verbergen. Dieses Privileg in der Diskriminierung haben vergleichsweise wenige Menschen. Ich habe lange gebraucht, um diesen Unterschied zu verstehen.

Wenn ich als normgerecht wahrgenommen werden möchte, so ziehe ich statt einem Kleid eben einen Anzug an. Da ich agender bin, stört mich das eine so wenig wie das andere. Ich habe gelernt, dass sich andere Menschen nicht für meine spezielle mathematische Sichtweise interessieren. So suche ich mir Themen, von denen ich denke, dass sie das Gegenüber spannend findet und meide meine eigene Art zu diskutieren. Das ist für mich nicht befriedigend, denn auch ich möchte mein Wesen offen ausleben, aber es ist möglich und erlaubt mir ein Berufsleben ohne gesellschaftliche Barrieren.

Für mich leitet sich aus diesem Privileg aber auch eine Verantwortung ab. Ich kann meine Privilegien nicht ablegen, selbst wenn ich das wollte. Aber ich kann dafür sorgen, dass andere Menschen, die nicht so viel Glück haben, irgendwann einmal über weniger Steine gehen müssen. Ich habe für mich den Weg über politisches Engagement und Sichtbarkeitsaktivismus gewählt. Es ist nur ein kleiner Beitrag zur Verbesserung der Situation für Normabweichler*innen, aber insbesondere gesellschaftliche Sichtbarkeit ist ein wichtiger erster Schritt.

Kenne deine Privilegien und Diskriminierungen

Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen in sich gehen und sich überlegen, welche Vorteile sie im Leben aufgrund ihrer Geburt in ein vorgefertigtes System erfahren. Der Volksmund sagt, dass jeder Mensch anders ist. Das mag stimmen, aber nicht alle Formen der Andersartigkeit münden in gesellschaftlicher Diskriminierung und nicht jede Diskriminierung kann im gesellschaftlichen Leben überspielt werden.

Es ist keine Schande, Privilegien zu besitzen und davon zu profitieren. Es wäre aber eine Schande, wenn man nicht an deren Abbau mitarbeitet. Wenn sich ein System von innen heraus verändern soll, so braucht es Menschen mit Privilegien, die sich für für ihren Abbau einsetzen und die für Erfahrungsberichte von diskriminierten Menschen ein offenes Ohr haben.

Ein Lächeln ist keine Einladung

Ein Lächeln ist keine Einladung published on 4 Kommentare zu Ein Lächeln ist keine Einladung

wegwarte Unsere Gastautorin erlebte vor einigen Wochen einen sexualisierten Übergriff in ihrer Wohnung. Sie wollte ihre Geschichte aufschreiben und veröffentlichen und wir wollen ihr hier – anonym – die Möglichkeit dazu geben.

[TW: sexualisierte Gewalt (auch gegen Kinder)]

Ich habe lange gezögert, mich an die Tastatur zu setzen und meine Geschichte aufzuschreiben. Ich wollte es direkt tun, nachdem sie sich ereignet hat, aber es hat mich einfach viel Überwindung gekostet. Ich bin eine 32-jährige Schwarze Frau, habe ein schulpflichtiges Kind und lebe in einer deutschen Großstadt. Wichtig zum Erfassen meiner Geschichte ist, dass ich heute nicht vom ersten Übergriff berichte, der mir passiert ist. Ich habe schon als Kind Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt gemacht. Ich wurde mit sieben Jahren missbraucht, mit 12 das erste Mal vergewaltigt – wohlgemerkt von zwei unterschiedlichen Tätern.

Als ich 18 war, habe ich das erste Mal angezeigt. Ich ging an einem kalten Winterabend, nachdem ich wieder Nächte durchgeweint hatte, in unserer Stadt zur Polizei und habe dort alles erzählt. Ich habe mich damals so befreit gefühlt und mich innerlich auf einen Gerichtsprozess vorbereitet. Ich habe gedacht, dass jetzt alles besser wird, aber… Es passierte zunächst neun Jahre und ein paar Monate gar nichts! Später erfuhr ich, dass der damalige Staatsanwalt wohl Mist gebaut habe.
Ich versuchte in der Zwischenzeit ein normales Leben zu führen, habe geheiratet und ein Kind bekommen. Als meine Tochter dann ein paar Monate alt war, kam plötzlich ein Schreiben der neuen Staatsanwältin, denn es kam doch noch zur Verhandlung. Es gab sogar ein Urteil: „schuldig“. Ich habe eine Therapie begonnen und abgeschlossen und dachte das Thema endlich zu den Akten legen zu können.

Jetzt, wieder ein paar Jahre später, ereignete sich Folgendes: Ich hatte Internetprobleme, rief meinen Provider an und wartete den Besuch der Handwerker ab. Ein älterer und ein etwas jüngerer Mann wurden mir als Techniker nach hause geschickt. Angesagt waren sie für 18 Uhr, aber sie kamen erst um 21 Uhr und fingen an zu arbeiten. Ich bot ihnen Kaffee an, es war ja schon so spät und ich wollte höflich sein. Sie haben ihre Arbeit gemacht und ich habe ein wenig „Smalltalk“ gehalten.
Gegen Ende der Arbeit stand ich mit dem älteren Herren allein im Flur. Unvermittelt fing dieser Mann an, mich zu bedrängen. Ich war völlig perplex. Er versuchte, mich zu küssen und ich konnte mich gerade noch so entwinden. Ich war wie erstarrt bis beide Handwerker 15 Minuten später meine Wohnung verließen. Ich schloss meine Wohnungstür, immer noch wie erstarrt. Ich weinte. Ich weinte zwei Tage lang, ich sprach nicht mit meinem Freund und ich ließ meine beste Freundin nicht zu mir kommen. Zwei Tage lang fühlte ich mich wie gefroren. Dann ging ich zur Polizei und ich habe wieder angezeigt. Nach der Anzeigenaufnahme musste zur Kriminalpolizei und dort nochmal alles schilderten.

Ich habe versucht alles richtig zu machen, denn ich weiß, dass ein Mensch, der sowas einmal tut, es wieder tun könnte oder vielleicht schon öfter gemacht hat.
Mir ist der Gedanke, dass schon wieder jemand meine innere Grenze so weit überschritten hat, einfach zuwider. Für mich war und ist das die Hölle. Ich wurde innerhalb von Sekunden wieder zu einem Opfer gemacht und der Druck, der jahrelang auf mir lastete und den ich überwunden glaubte, war auf einmal wieder da. Und das nur, weil ein Mann meine Freundlichkeit als Einladung gesehen hat.

Letzte Woche kam der Brief vom Staatsanwalt. Es wird trotz Anzeige keine Anklage erhoben, weil keine Zeugen vorhanden seien und ich die Tat deshalb ja nicht beweisen könne. Welch ein Hohn! Ich bin immer noch sprachlos und mir fehlen die Worte, meine Gefühle, meine Hilflosigkeit und mein andauerndes Fallen richtig beschreiben zu können. Ich weiß, dass ich mich verraten fühle von einer Gesellschaft, die jemanden, der in mein Haus kommt und mir zu nahe tritt, auch noch vor Strafe schützt.

Unser Ticket für Brasilien

Unser Ticket für Brasilien published on Keine Kommentare zu Unser Ticket für Brasilien

Das ist ein Artikel von Oecan. Auf Twitter findet ihr ihn unter @oecan_ , wo er unter anderem zu Feminismus und Umweltthemen postet. Er ist gelernte Linguste mit einer Schwäche für Rechtschreibung.

Am 12. Juni beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Brasilien. Sie ist im Land umstritten. Viele Brasilianer*innen freuen sich darauf, aber es gab und gibt auch starke Proteste . Das Land hat die sechstgrößte Wirtschaft der Welt, doch die Unterschiede zwischen Armen und Reichen sind groß. Die Protestierenden sind der Meinung, dass die Milliarden Euro, die für den Bau von Stadien ausgegeben werden, besser in die Bildungs- und Gesundheitssysteme des Landes investiert gewesen wären . Diese Systeme benachteiligen arme Menschen, die sich private Vorsorge und Privatschulen nicht leisten können.

Mir persönlich war die WM lange gleichgültig bis unsympathisch. Von den Protesten in Brasilien habe ich zunächst wenig mitbekommen. Ich hatte einfach keine Lust auf patriotisches Gejubel und Schwarz-Rot-Gold. Seit der WM 2006 in Deutschland, bei der das ausgelassene Fahnenschwingen wieder üblich wurde, hatten wir eine ganze Menge davon in den letzten Jahren, und ich bin es leid. Die Europawahl hat deutlich gezeigt, dass der Nationalismus in Europa stärker wird, und mir sind Rufe wie „Schland, Schland“ oder „Allez les Bleu“ verdächtig.

fussball

Trotzdem: Ich mag Fußball. Ich schaue es gern. Ich mag es auch, mich mit einer Mannschaft zu identifizieren und mitzufiebern. Es muss auch nicht immer die deutsche sein. Und so entwickle ich doch allmählich eine gewisse Vorfreude. Es ist lange nicht genug, um nach Brasilien zu fahren und dort dabeizusein, aber ich bin ziemlich sicher, dass ich mir einige (viele ;-)) Spiele im Fernsehen ansehen werde.

Und hier hatten TQ und ich eine Idee. Auch wir kaufen uns Tickets für Brasilien! Wie die Fans, die zum Spiel ins Stadion gehen. Aber im Unterschied zu den FIFA-Tickets, von deren Einnahmen die Brasilianer*innen wenig haben, wollen wir versuchen, unser Geld den Menschen in Brasilien zugutekommen zu lassen, die es am dringendsten brauchen. Es ist der Versuch, einen Ausgleich zu schaffen dafür, dass nicht sie, sondern wir von der Ausrichtung der WM im Land profitieren. Zum Beispiel wurde in der Hauptstadt Brasilia ein großes Stadion gebaut, das nach der WM leerstehen wird, weil es dort keine Erst- oder Zweitligamannschaften gibt. Andere Arenen, gerade erst modernisiert, wurden aufgrund von FIFA-Auflagen erneut umgebaut. Eine U-Bahn ist in einem reichen Viertel von Rio de Janeiro entstanden, während der Nahverkehr aus den armen Vororten überlastet ist.

Wir sind uns bewusst, dass Spenden aus der Ferne problematisch sind und übergriffig und von oben herab wirken können. Wir haben daher nach Organisationen gesucht, die in Brasilien arbeiten, um das Leben armer Menschen dort zu verbessern. Gefunden haben wir diese beiden Organisationen:

Brazil Foundation

Monte Azul Brasilien

Wollt ihr auch ein Ticket für Brasilien? Das ist großartig! Und sehr einfach: Bitte spendet einen Betrag, den ihr für ein Fußballticket für angemessen haltet, oder den ihr euch leisten könnt. Was ein WM-Ticket wirklich kostet, ist gar nicht so leicht rauszukriegen, aber 50 Euro für eine Spende ist unser Vorschlag für Menschen, die sich das leisten können, und entsprechend weniger für die, die die gute Sache unterstützen wollen, obwohl sie nicht so viel geben können.

Anschließend könnt ihr euch den „Ticket für Brasilien“-Sticker herunterladen und selbst einbauen:

Banner zum selbst einbauen.
Sticker zum selbst einbauen.
Icon "Unser Ticket für Brasilien"
Das PNG als Overlay für den Avatar.

Oder ihr könnt ihn hier automatisch eurem Twitter- oder Facebook-Avatar hinzufügen lassen .

Und wenn euch jemand danach fragt, was das bedeutet, verlinkt einfach hierher. Dankeschön, und viel Spaß bei der WM :-))

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