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"Cybermobbing" unter Jugendlichen und die allgemeine Ratlosigkeit

Mit "Cybermobbing" wird gemeinhin Mobbing unter Schüler*innen bezeichnet, das online stattfindet. Manchmal ist auch Mobbing unter Erwachsenen mitgemeint, wobei hier oft nicht ausreichend von Hate Speech, Stalking oder anderen Straftaten abgegrenzt wird. Seit einigen Jahren nimmt die Berichterstattung zu Internetmobbing an Schulen (gefühlt) zu. Meistens werden die Geschichten der Opfer erzählt - was gut ist - doch auch wenn versucht wird, Auswege aus der Gewalt zu finden, Auswege aus der Gewalt aufzuzeigen, werden nur die Leidtragenden angesprochen. So ist es auch in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift des Deutschen Frauenrats, die ich hier herausgreife, die aber keinesfalls einen Einzelfall darstellt.

Unter dem Artikel findet sich ein Kästchen mit Tipps: "Was tun bei Cybermobbing?". Gleich der erste Ratschlag ist, dass Opfer so wenig wie möglich Privates von sich online stellen sollen. Dieser Satz ist als Ratschlag absolut unbrauchbar, denn er sagt vor allem eines aus: Du bist Schuld, wenn Menschen dich bedrohnen oder beleidigen, denn du hast falsch gehandelt! Das ist Victim Blaming . Menschen müssen so viel oder so wenig über sich preisgeben dürfen, wie sie möchten - verwerflich oder gar strafbar ist, was Täter*innen mit dem Wissen tun, das sie erwerben.

Und was ist in Zeiten von sozialen Netzwerken denn "zu viel Privates"? Alle Menschen (bei Weitem nicht nur Jugendliche!) müssen den Umgang mit dem Internet lernen und verstehen, was mit ihren Daten passieren kann. Die Schlussfolgerung kann aber nicht sein, nichts mehr online zu stellen. Angstmacherei ist keine Medienkompetenz. Gerade Menschen kurz vor dem Eintritt ins Berufsleben, also Schüler*innen, müssen sich heutzutage verstärkt online präsentieren, zum Beispiel in extra dafür vorgesehenen Jobnetzwerken. Ähnliches gilt bei politischem Engagement: Menschen, die Ämter innehaben oder Aufgaben übernehmen, haben oft online auffindbare Kontaktdaten, um zum Beispiel für Journalist*innen ansprechbar zu sein. Jugendliche von solchen Aufgaben auszuschließen, kann nicht die Lösung sein, vor allem nicht, da so oft behauptet wird, Jugendliche seien politikverdrossen und würden heutzutage gar keine Verantwortung mehr übernehmen wollen.
Sich im Internet - auch mit privaten Daten - darzustellen, ist nicht immer nur lustige Spielerei, es ist in der heutigen Welt auch gängige Praxis. Wer sich dem grundsätzlich verwehrt, wird an einigen Stellen ausgeschlossen bleiben, Aufträge nicht bekommen, wichtige Chancen verpassen. Jugendliche müssen sich auch im Netz ausprobieren können - unsere Aufmerksamkeit muss sich auf diejenigen richten, die zu Mobber*innen oder Gewalttäter*innen werden. Davon ist in den Tipps des Frauenrats nichts zu lesen, denn es geht weiter mit Ansprachen an diejenigen, die bereits zum Opfer wurden und nun Schadensbegrenzung betreiben müssen.

Oft schwingt bei der Debatte rund um "Cybermobbing" an Schulen mit, Mobbing sei im Internet erfunden worden. Lehrer*innen und Eltern stehen angeblich plötzlich vor einem großen Problem und wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Als ich in die Unterstufe ging, da waren wir Schüler*innen noch keine Internetnutzer*innen und trotzdem wurde gemobbt. Da wurden Fotos aus so genannten Freundschaftsbüchern geklaut und zusammen mit diffamierenden Texten in der Schule verteilt. Da wurde laut in der Klasse gelästert, da wurden Leute auf dem Nachhauseweg verfolgt und am Nachmittag bei diesen Leuten angerufen (weil es offene Telefonlisten gab, ganz analog auf Papier). Und schon damals waren die Lehrer*innen überfordert, schon damals fühlten sie sich oftmals nicht zuständig und schon damals richteten sich ihre Psychologisierungen und Ursachensuche oft an die Opfer. Scheinbar hat sich da wenig geändert, denn der Experte im Magazin des Frauenrats wird wie folgt zitiert: "Als Risikofaktoren gelten mangelndes Einfühlungsvermögen und geringes Selbstwertgefühl". Nein, hier sind nicht die Täter*innen gemeint, es geht um die Opfer. Hier werden Gründe dafür gesucht, die rechtfertigen, dass Menschen von anderen Menschen fertig gemacht werden.

Der Untertitel des Artikels lautet "Cybermobbing unter Jugendlichen hat massiv zugenommen - viele Eltern sind alarmiert". Sind eigentlich auch die Eltern der Täter*innen alarmiert? Wann wird sich mal damit beschäftigt, was Menschen zu empathielosen Täter*innen macht? Und gemeint ist keine Diskussion rund um Videospiele, "Problemfamilien" oder gar Religion, was klassischerweise nach Gewalttaten passiert. Was total fehlt, ist die Gefährder*innenansprache und auch die Ursachenforschung, was schon Schüler*innen zu Gewalttäter*innen macht. Im Artikel der Zeitschrift Frauenrat findet sich dazu nur folgende Erklärung: "Unbedachtheit spielt eine große Rolle. Viele stellen aus Wut oder aus Versehen etwas ins Netz". Wenn wir von Mobbing sprechen, sprechen wir von anhaltendem, systematischem Ausschließen, Beleidigen, Bedrohen und so weiter. Das hat mit Versehen nichts zu tun. Allein schon der Begriff "Cybermobbing": Wer heute noch ironiefrei "Cyber" sagt, sagt sehr viel darüber aus, wie gut er oder sie sich im Internet auskennt. "Cyber" klingt nach "im Internet surfen", "das geheimnissvolle World Wide Web entdecken" - und auch nach "Weltraum", "weit weg" und "nicht echt". Gerade, wenn wir über Gewalt im Netz reden, ist es fatal, solche Assoziationen zuzulassen.

Zum Glück spricht der Artikel auch einen sehr wichtigen Punkt an, nämlich welche Folgen für die Opfer von Mobbing bleiben: "Depressionen, Angststörungen, Wut, aggressives Verhalten, psychosomatische Beschwerden, Schulphobie, posttraumatische Belastungsstörungen bis hin zu Suizidgedanken und Suizidversuchen." Und zusätzlich dazu sollen sich Opfer noch damit beschäftigen, mit welchem Verhalten sie die Gewalt ausgelöst haben? Das ist unzumutbar und unmenschlich.

Gewalt ist real, egal ob im Internet oder auf dem Schulhof. Mobbing ist Gewalt und kein Versehen. Und Schuld tragen weder die Opfer noch die genutzten Instrumente, Schuld tragen die Täter*innen.

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