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Die Angst vor der Neuen Häuslichkeit

Die Angst vor der Neuen Häuslichkeit published on 7 Kommentare zu Die Angst vor der Neuen Häuslichkeit

Schnecke Anfang Mai habe ich auf der republica einen Vortrag zu Feminismus und Handarbeit gehalten. Für diejenigen, die nicht dabei sein konnten, werde ich das Thema hier noch einmal in zwei Blogartikeln zusammenfassen, dies ist der erste. Es gibt den ganzen Vortrag auch als Podcast zum Nachhören.

Stricken, Häkeln, Nähen und andere Handarbeiten sind seit einigen Jahren wieder stark im Kommen: Handarbeitsläden sehen heute anders aus als früher und es gibt sie auch in hippen Stadtteilen. Moderne Handarbeitsbücher richten sich auch an jüngere Leute und natürlich gibt es das Internet als neue Informationsquelle. Parallel zum Handarbeitsboom wird das Thema aber auch kritisch betrachtet: Es wird das Problem der „Neuen Häuslichkeit“ heraufbeschworen, also eine Entwicklung, die den Rückzug aus der öffentlichen Sphäre ins Private bedeutet. Da wird dann eine apolitische Jugend beschworen, die nur noch Handarbeit, Gärtnern, Kochen o.Ä. als ihren Lebensmittelpunkt betrachten und die Augen vor dem „Ernst des Lebens“ verschließen. Ich möchte gar nicht leugnen, dass es diesen Trend gibt. Doch Zeitungen oder Zeitschriften, die gleichermaßen alte weiße Männer dafür bezahlen, feministische Aktivistinnen zu beleidigen und sexistische, rassistische, homofeindliche Hate Speech immer noch verharmlosend „Trollerei“ nennen, sollten vielleicht nicht ausgerechnet die Handarbeit als Keim des konservativen Rollbacks bezeichnen. Kritik sollte nicht bei Blümchenmustern ansetzen, sondern bei diskriminierenden Systemen. Es geht nicht um die Vorlieben Einzelner, sondern um die Gesellschaft an sich.

Handarbeit ist (heute – das war nicht immer so ) mit Weiblichkeit assoziiert und mit der häuslichen Sphäre verbunden, weil sie jahrhundertelang drinnen ausgeführt wurde und Teil der unbezahlten Care Arbeit von Frauen war. Sie fand oder findet damit außerhalb der öffentlichen Sphäre (die der männlichen Sphäre entspricht) statt. Diese uralte Einteilung wurde mit dem feministischen Slogan „das Private ist politisch“ eigentlich schon lange gebrochen. Natürlich sind auch Vorgänge, die im Verborgenen bzw. Privaten stattfinden, politisch relevant. Diskussionen um häusliche Gewalt oder die Öffnung der Ehe für alle Geschlechter sind hier nur zwei Beispiele von vielen.
Wird das Internet in die Betrachtung einbezogen, erscheint die Aufteilung in Häuslichkeit / Öffentlichkeit gleich noch unzeitgemäßer. Solange wir Zugang zum Netz haben, können wir jederzeit und unabhängig von unserem Aufenthaltsort an Politik teilhaben; als Konsument*innen genauso wie beispielsweise als Aktivist*innen.
Für den Mainstreamjournalismus sind solche Fakten irrelevant, wenn es darum geht, Handarbeit und damit vielfach handarbeitende Frauen, zu kritisieren. Medien, die sonst auch gerne antifeministische Haltungen veröffentlichen, sehen im Handarbeiten plötzlich den Abgesang des Feminismus. Crafting sei Hausfrauen-Kleinklein , für das eine nicht besonders schlau sein müsse und für Frauen, die keine richtigen Jobs haben bzw. denen ihre Berufe zu anstrengend sind. Und dann möchten handarbeitende Frauen auch noch Aufmerksamkeit für das, was sie geschaffen haben!

Was sich hier als feministische Kritik verkauft, ist nichts Anderes als neoliberale Kackscheiße, angerührt mit Sexismus. Handarbeit wird als nicht anstrengend, nicht kompliziert und nicht wertvoll genug kritisiert – und nur was anstrengend ist, kann in diesem Verständnis von Arbeit wertvoll sein.  Frauen dann auch noch vorzuwerfen, dass sie für sich, ihr Tun und ihr Denken Sichtbarkeit möchten, ist ein ganz alter sexistischer Hut . Dieses Bedürfnis wird bei Frauen fast immer negativ bewertet.
Handarbeit als un-feministisch zu bezeichnen, kann nur von Menschen kommen, die die Geschichte des Feminismus und Beispielsweise die Riot Grrrls und ihre DIY-Kultur als zentralen feministischen Grundstein nicht kennen.

buttons-628818_640 Handarbeit ist immer das Vorzeigebeispiel, wenn es darum geht, angebliche „Häuslichkeit“ zu kritisieren.  Wenn Menschen tagelang durch Tumblr scrollen oder eine Modelleisenbahn im Keller haben, gibt es keine Grundsatzdiskussionen über Alltagsflucht. Auch beim (oft Männern zugeschriebenen) „Basteln“ am Computer oder beim Heim- oder Handwerken setzt keine vergleichbare Kritik ein wie bei Handarbeit. Allein, dass im Deutschen Handwerk und Handarbeit begrifflich unterschieden wird, zeigt die Abgrenzung. Eine Kritik, die sich auf Handarbeit beschränkt und in der Handwerk ausgespart wird, ist letztlich vielfach schlichte Weiblichkeitsfeindlichkeit. Das zeigt sich auch darin, dass Cis-Männer, die das Stricken oder Häkeln für sich entdecken, öffentlich oft gefeiert oder gar mit medialer Aufmerksamkeit bedacht werden.

Was bei Kritik an Handarbeit oder Neuer Häuslichkeit im Allgemeinen ausbleibt: Kritik an dem System, das verursacht, dass Menschen aus dem Alltag ausbrechen und Pause machen möchten oder müssen. Meine Generation ist aufgewachsen mit Terrorwarnungen, Kriegen, Wirtschaftskrisen, der NSA, dem Klimawandel und Menschen auf der Flucht. Gleichzeitig sehen wir uns Turboabi, Bolognareform, prekären Arbeitsverhältnissen, Hartz IV und eben nicht zuletzt dem konservativen Backlash ausgesetzt. Der Kapitalismus, das Patriarchat, rassistische Gesellschaftsstrukturen usw. sind Schuld daran, dass Safe Spaces notwendig sind – besonders für Menschen, die nicht männlich, nicht aus der Mittelschicht, nicht hetero oder nicht weiß sind. Wenn diese dann ab und zu abends auf dem Sofa sitzen und eine Socke stricken, ist das kein Weltuntergang.

Bei Kritik an Neuer Häuslichkeit schwingt immer auch Kritik an Selbstverwirklichung mit. Da gibt es Menschen, die es wagen, ihre Freizeit für sich selbst zu beanspruchen. Was als Kritik getarnt ist, ist bloß die Angst, Menschen könnten ernsthaft aus der kapitalistischen Verwertungslogik ausbrechen und somit das System in Frage stellen. Schön wäre es! Aber wenn wir uns mal die Fakten betrachten, geht es letztlich nur um einen geringen Prozentsatz an Leuten, die wirklich aussteigen und der Gesellschaft den Rücken kehren. Bei den meisten geht es einfach nur um ein paar kurzzeitige Alltagsfluchten.

Ich halte die Kritik an der Handarbeit für ein Schreckgespenst und ich glaube, dass Kritik an Neuer Häuslichkeit nie ohne Kritik an der Gesellschaft vonstatten gehen kann. Kurzzeitige Alltagsflucht ist für diskriminierte Gruppen schlichtweg notwendig, um in der Gesellschft überhaupt bestehen zu können oder Kraft zu sammeln für weiteres politisches Engagement. Eskapismus und Aktivismus müssen kein Widerspruch sein. Handarbeit und DIY sind nur ein Nebenkriegsschauplatz. Wir müssen uns mit dem konservativen Backlash an ganz anderer Stelle beschäftigen – nämlich dort, wo er menschenfeindliche Ideen und Hass verbreitet.

7 Kommentare

Danke für den Interessanten Blogbeitrag, werde mir auf jeden Fall den Podcast anhören! Als begeisterte „Handaebeiterin“ nervt es mich total, mich jedesmal für mein Hobby rechtfertigen zu müssen oder belächelt zu werden. Einen Kommentar von dir möchte ich aber nicht so stehen lassen und zwar dass Männer dafür gefeiert werden. Das mag vielleicht für junge Mützenhäkler die daraus ein erfolgreiches Geschäftsmodell machen zutreffen. Habe aber selbst erlebt wie ein Mann mittleren Alters angefeindet und ausgelacht wurde weil er morgens im Zug immer gestrickt hat und zwar vornehmlich von älteren Damen und Jugendlichen.

Den Schuh kann man auch umdrehen: Warum sollten Handarbeiten und ein Rückzug ins Private ein Aussteigen aus der Politik bedeuten? Kann es nicht sein, das vielmehr Unzufriedenheit und der Wunsch nach Veränderung zu diesem „Rückzug“ führt? Je mehr wir selber machen können, desto unabhängiger sind wir von einem Wirtschaftssystem, das nicht das Wohl der Menschen, sondern den größtmöglichen Profit auf Kosten von Menschen zum Ziel hat. Ist Handarbeit nicht ein direktes, aktives Einwirken in diesen Kreislauf? Nähe ich mir zum Beispiel meine Klamotten selber, bin ich nicht auf Klamotten aus Billiglohnländern angewiesen und sorge so in einer gewissen Weise für eine Umstrukturierung des Marktes. Das ist Handeln! Aber wir können natürlich auch stundenlang diskutieren und am Ende trotzdem nichts ändern und das ganze dann Politik nennen…

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